17. August 2009, Virasoro - Argentinien, km 02’306
War das ein Tag!!! Die ganze Nacht hat es durchgeregnet, und zwar richtige Gewitterschauer. Zum Glück habe ich kurz nach dem Nachtessen mein Zelt unter ein Dach gezügelt, so dass ich die ganze Nacht im Trockenen lag. Am Morgen dann, ganz easy, habe ich mein trockenes Zelt gepackt und wir sind alle losgefahren. „Dirty tracks“, das soll das heutige Thema sein, Ja danke. Nach wenigen km verlasse ich die geteerte Strasse und fahre auf einer Naturstrasse, aus Lehm. Da es die ganze Nacht geregnet hat, ist der Lehm „arschglatt“ und klebrig „wie die Sau“. Sofort bleibt eine Schicht Lehm auf meinen Reifen kleben. Die Haftung besteht somit nicht aus Adhäsion zwischen Gummi und Lehm, sondern aus Kohäsion zwischen nassem Lehm und nassem Lehm. Die bedeutet, dass man auf seinem Velo keinen Halt hat. Die kleinste Gewichtsverlagerung, die kleinste Bewegung am Lenker, und eines der Räder schmiert dir davon. Schlimmer als auf dem Glatteis (aber gänzlich ungefährlich, da der Lehm sehr weich ist und ich alleine auf der Strasse bin). Man kann sich das gar nicht vorstellen. Und dann lösen sich immer wieder Lehmschollen von den Pneus, so dass man in einer Schollenwolke fährt. Überall fliegt roter Lehm rum, vorne, hinten, rechts, links und oben. So richtig surrealistisch. Um mich zu schützen, ziehe ich meine … Schutzbrillen an. Ja doch, sogar ich ziehe so was an, wenn es wirklich Sinn macht. „Loam in my eyes“, oder eben nicht. Interessant ist, dass man, wie auf dem Glatteis, nie bremsen darf. Hat man eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht, so halten einem die Kreiselkräfte der Räder aufrecht, aber nur solange diese drehen. Bringt man sie durchs bremsen zum Stillstand, ist’s vorbei mit den Kreiselkräften. Der Sturz ist dann unausweichlich. Braucht aber Mut, nicht in die Bremsen zu steigen, und man muss wirklich daran glauben, sonst funktioniert es nicht. Also ich glaube daran, und es funktioniert. Nach dieser Lehm-Passage gibt’s Lunch. Wie immer selbstgemachte Sandwiches. Da es in der Zwischenzeit in Strömen regnet, mache ich nicht lange und fahre bald weiter. Und was jetzt kommt, stellt den ganzen Morgen in den Schatten. Wieder eine Lehmstrasse, aber diesmal klebrig wie 1 Mio. Säue. Unglaublich. Nach nur wenig Metern blockiert mein Vorderrad. Nur mit Glück kann ich mich auf meinem Velo halten. Mein Vorderpneu hat anstatt der 2.1“ jetzt neu mindesten 5“. Eine Lehmschicht hat sich auf den Pneus festgesetzt, so dass die Räder nicht mehr drehen. Ich versuche, mein Velo zu stossen (für die Deutschen: mein Rad zu schieben), und tatsächlich schiebe ich es nur über den Boden, wie einen Schlitten. Mit einem Stecken befreie ich meine Räder von all dem Dreck und versuche es nochmals. Max 5 Meter, und dann stecke ich wieder fest. Ich versuche diese Prozedur mehrmals, wobei ich mal im weichen, mal im nassen, mal schnell, mal langsam fahre. Es hilft nichts. Jedes mal sind meine Pneus zugeklebt. Also entscheide ich, das Velo zu tragen. Da ich 2 Trinkflaschen mitführe, kann ich es nicht schultern. Ich muss es auf dem Rücken tragen. Ich bringe mich also in Position und … unmöglich, mein Velo zu tragen. Es wiegt mindestens 100kg, mit all dem Dreck ! Also Veloputzen! Ich versuche mit meinem Stecken, den Dreck vom Velo zu lösen, aber das geht wirklich nur sehr schwer, so dass ich sicher 15 min damit beschäftigt bin. Und dann versuche ich es nochmals. Ja, diesmal wiegt es nur noch … 40 kg. Also los, ich laufe (für die deutschen ich gehe) los mit meinem Velo quer auf dem Rücken. Für die Einheimischen sind wir schon verrückt, wenn wir mit einem Velo so weit unterwegs sind. Mit unserem Helm auf dem Kopf sind wir bereits oberverrückt. Wenn es dann noch dazu regnet, dann sind wir extraoberverrückte. Aber was bin ich wohl, wenn ich bei Regen behelmt mein Velo auf dem Rücken trage? Dafür gibt es in der spanischen Sprache noch keinen Begriff. Den müssen sie erst noch erfinden. Ich trage also mein Velo vielleicht 1 km, in meinen schweren Bike-Schuhen, die ich heute morgen in weiser Voraussicht gegen meine dünnen Rennschuhe ausgetauscht habe. Wie immer ohne Socken. Nur sind dieses Schuhe nicht zum wandern gedacht, sondern fürs biken. Somit hole ich mir gleich ein paar Blasen. Toll, als wären aufgeweichte Füsse nicht genug. Nach besagtem km stelle ich mein Bike wieder ab und versuche es nochmals. Ja, es scheint zu gehen, nur sind die Schuhe voller Lehm, ich kann sie nicht in die Pedale einklicken. Also klopfe ich sie an den Kurbeln ab, fahre gleichzeitig vorsichtig zwischen den Schlaglöchern durch und freue mich über jeden Meter, den ich das Bike nicht tragen muss. So langsam komme ich in fahrt, die Füsse sind jetzt an die Pedale fixiert. Durch die wenigen Autos hat sich eine Spur gebildet, in der sich das Wasser sammelt. Darin fahre ich, denn dort ist es am wenigsten klebrig. Dafür spült es mir die Kette aus, so dass es immer schwerer wird, die Gänge zu wechseln. Dabei wäre das so wichtig, denn der Boden ist so glatt, das man noch mit 20 km/h das Hinterrad zum durchrutschen bringt, wenn man etwas in die Pedale tritt. Und so geht es langsam vorwärts. Nur noch 12 km, dann 10, 8, 6, ab 4 km erachte ich mich als gerettet, denn ich würde notfalls das Velo die restlichen 4 km tragen, wenn es wirklich sein müsste. Der Tag scheint also gerettet. Aber was ist das? Auf meinem km-Zähler? Ich dachte, ich wäre bei 95km, aber tatsächlich sind es erst 85 (vor lauter Dreck habe ich 8 mit 9 verwechselt). 10km mehr! Es bleiben also 14km. Das Ganze also nochmals, 14, dann 12, 10, 8, 6, 4 (=gerettet, weil ich notfalls das Bike trage), 2, gleich bin ich gerettet, denn auf meinem Bike-Computer fehlt der gelaufene km, endlich treffe ich auf die erlösende Hauptstrasse, diese ist natürlich geteert. Dort nimmt mich Randy gleich in Empfang. Anstatt der verbleibenden 38 km Teerstrasse bis zum Camp in der freien Natur sind es nur 3 km ins Hotel. Aus Erbarmen mit uns schenken sie uns die restliche Strecke und stecken uns ins warme, trockene Hotel. Danke, obschon ich die 38 km ganz gerne gefahren wäre, das lockert die Muskeln, nach einer solchen Fahrt. Aber nach dem kurzen Stück zum Hotel bin ich endgültig überzeugt, dass das Hotel eine gute Idee ist. Der Verkehr auf der Strasse ist viel zu gefährlich. Viele Lastwagen, und kein Pannenstreifen zum ausweichen. Zum Glück gehöre ich zu den ersten, die im Hotel ankommen, so habe ich Zeit, mein zugelehmtes Velo zu putzen. Mit dem Wasserschlauch in der Hand brauche ich gut ½ Stunde, bis es einigermassen sauber ist. Nochmals ½ Stunde für mich und meine Kleider. Alles ist orange, denn merkwürdigerweise ist der Boden rot, das Wasser aber orange. Diese warmen sind sehr schön anzusehen.